Die rätoromanische Gruppe Maconga an der EXPO.02

EXPO.02: Esperanto am Europatag

Eigentlich kamen wir ja, um das rätoromanische Kulturwochenende an der EXPO.02 in Yverdon-les-Bains zu besuchen, doch oh weh, an jenem 7. September 2002, sollte, wie sich kurz nach Ankündigung unseres Treffens herausstellte, auch der Europatag stattfinden. Voix d'Europe, oder zu deutsch, die Stimme Europas. Wir freuten uns also doppelt auf diesen Tag, waren wir doch gespannt, welche Sprache(n) diese Stimme Europas sprechen würde.

So verbrachten wir einige Stunden im Dunkeln des Yverdôme und hörten gespannt den Diskursen von Politikern und Intellektuellen zu, die - diplomatisch ausgedrückt - sehr diplomatisch ihre Visionen für das zukünftige Europa präsentierten, d.h. diplomatisch versuchten ihre Visionslosigkeit zu verstecken.

Man war sich einig. Ein zukünftiges Europa soll multikulturell sein. Und, Europa soll seine eigene Kultur entwickeln. Der eine sagt das eine, der andere das andere, und das Publikum applaudiert in jedem Fall, denn mit einer multikulturellen europäischen Kultur ist beides möglich. Wie jedoch diese europäische Mulitkultur entwickelt werden soll, darüber schwiegen sich die Herren und Damen am Rednerpult sehr ausführlich aus.

Leise dachte ich für mich: Tja, vielleicht gerade mit einer eigenen europäischen Sprache, eine Zweitsprache für alle, welche die aktuellen Sprachen nicht verdrängen würde, sondern als Brückensprache das multikulturelle Europa verbinden würde. So könnten sich der Portugiese und der Finne und der Engländer und der Slowene auf der Strasse miteinander unterhalten, und alle wären gleich gute Europäer, ohne dass der eine aufgrund seiner Nationalität, bzw. seine Muttersprache mehr Recht hätte, den andern zu korrigieren. Zum Beispiel Esperanto. Da wäre man zumindest sicher, dass die Sprache auch funktioniert! Und zwar vom Wilhelm Tell bis zum Kalevala, von Shakespeare bis zu Tolstoj, und von der Bibel bis zum Koran, Mündlich und Schriftlich.

Aber das Wort Esperanto fällt in keiner der langen Reden, wozu denn überhaupt. Meine Idee ist nicht nur absurd, sie ist auch völlig unnötig. Am Europatag an der EXPO.02 gibt es schliesslich Kopfhörer, wo man sich seine Sprache auswählen kann, das heisst, sofern man deutsch, französisch, italienisch oder englisch versteht. Denn die Stimme Europas verstand und flüsterte zum Beispiel kein Ungarisch, so musste Monika, unser Besuch aus Ungarn, den deutschsprachigen Diskurs ihres Landsmannes übersetzt auf Italienisch hören, in Yverdon-les-Bains wohlgemerkt. Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich in Prag einem ungarischen Diskurs von Herrn Leuenberger auf polnisch übersetzt zuhören müsste. Zweifellos, das gegenseitige Unverständnis und die multikulturelle Zukunft Europas sind damit gesichert...

Nun, wir hielten es nicht den ganzen Tag in der kommunikationstechnisch mittelalterlichen Finsternis des Yverdômes aus, weshalb wir dann unsere eigene multikulterelle Konferenz im Freien abhielten, zivilisiert und ohne schwer(fällig)en Kopfhörer, natürlich auf Esperanto. Ohne Strom, von Mensch zu Mensch.

Doch, oh weh, ein Stück weiter im Pavillon Mediacut begegnet uns schon das nächste EXPO-Ungeheur, zähnefletschend, und dennoch mit verführerischen Lippen. Aber Moment, was ist mit ihm denn passiert? Es spricht ja spanisch? nein, holländisch? oder englisch? vielleicht französisch? etwa italienisch? deutsch? Nein, es spricht Europanto, ein Sprachenmischmasch, das heisst von allem ein bisschen, aber nichts richtig! Und wir glaubten schon, mit unserem Latein am Ende zu sein. Im Pavillon Mediacut wird uns damit das Sprachproblem einmal mehr vor die Augen geführt, und tut auch noch so, als ob es uns bald auffressen würde. Ach was, wir haben das Sprachproblem doch schon längstens überwunden.
Ni parolas esperanton!

Benno Frauchiger, Basel